Matsi

Lieber Matsi,

Dein Weg führte Dich von der fernen Insel Taiwan ins kleine Feriendorf in Visselhoevede. Oft habe ich mich gefragt, wie musst Du dich gefühlt haben? Aufgewachsen in einem Land wo die Menschen so ganz anders aussehen als hier, Menschen die eine andere Sprache sprechen als ich (obwohl ich Wichtiges mit Dir immer auf Englisch besprach), wo die Natur anders riecht, der Verkehr soviel hektischer ist als bei uns auf dem "platten Land". Wie verunsichert musst Du zu Beginn deiner Zeit in Deutschland gewesen sein, nachdem man Dich in ein Flugzeug packte und den weiten Weg hierher verfrachtete. Kein Wunder, dass Du manchmal in Dich gekehrt schienst, in Deiner eigenen Welt gefangen und vor Dich hin trottetest als suchest Du ein uns unbekanntes Ziel. Ich weiss nicht, wie Deine ersten Hundejahre waren, aber Du scheinst Schlimmes erlebt zu haben, denn wenn ich Dich streicheln wollte, ducktest Du dich lange Zeit weg. Männerhände, insbesondere mit Nikotinspuren, machten Dir Angst. Und vor vorbeirasenden Autos gerietest Du in Panik. Aber Du konntest auch Freude zeigen, nicht nur wenn es etwas zum Fressen gab. Am Fahrrad zu laufen machte Dir Spass und wenn Du dich in unseren See hier tauchtest, kamen wohlige "Glucks"- Geräusche.

Als ich im November 2013 mit meinem damaligen Freund bei der Polarhilfe Nord Ausschau nach einem Husky hielt, hast Du Dich an Dirk herangepirscht und hast ihn mit deiner Sanftmut umgarnt. Schon auf der Rückfahrt nach Visselhoevede sprach Dirk nur von Dir und so war unsere Wahl schnell getroffen. Genauso schnell stiess Dirk dich aber auch wieder zurück, als Du deine traumatisierte Seite hier zu Hause zeigtest. Als Dirk dann bald darauf endgültig aus unserem Leben verschwand, hast Du dich wieder verloren gefühlt. Ich erinnere mich gut an alle Deine Übersprungshandlungen: Dein nervöses Kratzen, das zu offenen Fellflecken führte. Deine Alpträume und Dein oft minutenlanges im-Kreise-drehen, bis Du den geerdeten Punkt zum Hinlegen fandest. Nein, das war nicht nur die ursprüngliche Art eines Caniden, der das Feld platt tritt um einen geeigneten Schlafplatz zu finden. Du warst aus Deiner Mitte gerissen.

Und doch lebtest Du dich in den indianischen Namen ein, den ich Dir gegeben hatte: Matsi - sanft und mutig. Nie gerietest Du mit anderen Hunden in Streit. Es gelang Dir in den letzten Monaten, alle Deine Ängste zu überwinden. Grosse Landmaschinen und vorbeirasende Autos hast Du stoisch passieren lassen. Michael, der neue Mann im Rudel, durfte dich streicheln und das Halfter abnehmen, ja selbst meine drei Söhne mit den Nikotinhänden wurden akzeptiert. Du sprangst ins Auto, toleriertest den engen Platz weil Tala's Kennel nicht mehr Raum bot. Wir sangen gemeinsam Countrymusic und Du heultest in C-Dur während Du die Heckscheibe ablecktest weil der "Defenders of Wildlife"-Sticker mit den Wölfen Dich inspirierte. Abends nahmst Du das letzte Leckerchen und verkruemeltest Dich auf Deiner Schlafdecke und wenn Tala mal wieder etwas ausgefressen hatte, hast Du mich mit deinem braunen und dem blauen Auge so flehentlich angeguckt, dass ich ihr nicht böse sein konnte. Du warst unser Rudelchef, mit einer Würde und Weisheit, wie sie vielleicht nur den Asiaten eigen ist.

Eines meiner letzten Bilder im Kopfkino zeigt Dich letzten Donnerstag. Es war ein eiskalt gefrorener Aprilmorgen, die Sonne schien, wir waren gerade vom Spaziergang zurückgekehrt und Du warst an der Leine hinter dem Wintergarten angedockt. Ich beobachtete Dich durchs Fenster wie Du erhobenen Hauptes über die Wiese blicktest auf den See. Du schienst alles in Dich aufzusaugen und zu geniessen. Und da wusste ich: Jetzt bist du wirklich hier in Visselhoevede und bei mir angekommen. Nie hätte ich gedacht, dass Du 5 Tage später für immer die Augen schliessen würdest. Du hast gewartet bis ich von der Arbeit zurückkam, nach der Fieber senkenden Spritze der Tierärztin nochmals gewartet bis ich mit Tala vom Spaziergang zurück war. Und als ich Dich mit deinem Bett in den Wintergarten gezogen habe, hast Du nur ein einziges Mal gewimmert wie zum letzten Good-bye. Ich hielt Deine Pfote, als das Herz stehen blieb und sagte Dir, dass ich Dich lieb habe. Und Tala kam und verabschiedete sich mit einem Nasenstüber.

Nun ruhst Du auf einem Bett aus Stroh im Garten, mit dem Kopf nach Osten gewandt von woher Du einst kamst. Wir haben Dir eine Möhre und ein paar Leckerlis auf den Weg hinter den Regenbogen mitgegeben. Du fehlst uns so in unserem Rudel und wir sind traurig, aber hoffen dass Du endlich das Zentrum im Labyrinth Deines Lebens gefunden hast. Ruhe in Frieden, Freund. In Gedanken wirst Du uns auf unseren Wegen mit Tala begleiten.

Judith und das Spoo-Rudel